Review | Leibniz Universität Hannover

Abschlusspräsentation der Ergebnisse des Seminars „Urban Base – Stadtunterbau“ an der Leibniz Universität Hannover. 

Im Rahmen des Seminars setzten sich Studierende anhand ausgewählter Projekte mit dem Stadtunterbau als Schwellenraum auseinander. In typologischen Studien untersuchten sie den stufenweisen Übergang zwischen dem Innenraum des Gebäudes und dem Stadtraum als Übergang zwischen privatem und öffentlichen Raum. In Schnittperspektiven und kombinierten An- und Aufsichten wurde das Ineinanderwirken von Raum und Gebrauch untersucht und die Bandbreite architektonischer Ansätze sichtbar gemacht und gegenübergestellt.

Lehrende: Prof. Andreas Quednau, Dipl.-Ing. Ina-Marie Kapitola und Dipl.-Ing. Antje Buchholz

Feldforschung | Quartier Sonnwendviertel Ost, Wien

Besichtigung des östlichen Teilgebiet des Sonnwendviertels und des Quartiershaus’ MIO und Gespräch mit Peter Roitner und Hermann Koller von der Wohnbaugenossenschaft Heimbau sowie Ernst Gruber vom Büro wohnbund:consult.

Aufbauend auf den Erfahrungen der Seestadt Wien-Aspern wurden im Sonnwendviertel Ost „Leben am Helmut-Zilk-Park“ 2012 Ansätze der Mischnutzung weiterentwickelt. Dabei standen insbesondere die Kleinteiligkeit der räumlichen Strukturen, Nutzungsmischung, öffentlichkeitsorientierte Nutzungen, Fußläufigkeit und eine qualitätsvolle Freiraumgestaltung im Vordergrund. Die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) und die Stadt Wien einigten sich auf eine Planungsstrategie für das Quartier, die als besondere Stadtbausteine sogenannte Quartiershäuser sowie Baugruppenprojekte beinhaltete. Der Verkauf der hierfür vorgesehenen Grundstücke erfolgte zum Fixpreis in qualitätssichernden Konzeptverfahren. Darin waren die Nutzungskonzepte für die Erdgeschosse ein zentrales Vergabekriterium. „Die Grundidee war, dass man durch eine gute Mischung von ohne Auflagen verkauften Grundstücken und solchen, die gewisse Kriterien einhalten mussten, insgesamt einen lebenswerten und urbanen Stadtteil entstehen lässt“ (Robert Temel). Im Rahmen des Bebauungs- und Flächenwidmungsplans wurde entlang der als Geschäftsstraße ausgewiesenen inneren Promenade an bestimmten Flächen im Erdgeschoss eine Stadtsockelzone ausgewiesen, mit einer Geschosshöhe von mindestens 4 Metern, dem Ausschluss von Wohnnutzungen und eine Höchstnettokaltmiete von 4 €/m2, die für 10 Jahre garantiert werden musste. Diese Strategie so gemeinwohlorientierte Nutzungen zu fördern, ging zum großen Teil auf und trägt zum nachbarschaftsbildenden Alltagsleben im Quartier bei. Andererseits wurde die Idee des Stadtsockels aber auch konterkariert, indem anstelle der günstigen Gewerbeflächen Funktionsräume wie Fahrradstellplätze oder Müllräume angeordnet wurden, die nicht zur Urbanität beitragen.

Das MIO, geplant von StudioVlayStreeruwitz, verfolgte einen im Sinne der Quartiersstrategie zugespitzten Ansatz und bietet neben Kleinstgewerbeeinheiten eine sogenannte „Stadtloggia“ an. Dadurch konnte eine in die Nachbarschaft wirkende Gemeinschaft von Mikro-Pilotinnen und -Piloten entstehen. Möglich wurde dies durch gebäudeinterne Querfinanzierung seitens der Wohnbaugenossenschaft Heimbau und einen die potentiellen Existenzgründer:innen zusammenführenden Prozess, der schon während der Planungsphase begann und von dem Büro wohnbund:consult geleitet wurde.

Feldforschung | Quartier Nordbahnviertel, Wien

Besichtigung des in Realisierung befindlichen Nordbahnhofquartiers
Führung mit Lina Streeruwitz und Bernd Vlay, Studio VlayStreeruwitz, Architekt:innen des Masterplans für das Nordbahnhofquartier „Freie Mitte – Vielseitiger Rand“

2012 wurde im städtebaulichen Wettbewerb für das Nordbahnhofquartier das Konzept „Freie Mitte – Vielseitiger Rand“ vom Studio VlayStreeruwitz ausgewählt. Nutzungsmischung, Nutzungsvielfalt und der Fokus auf die Gestaltung der Erdgeschosse ist wichtiger Bestandteil des städtebaulichen Konzepts. Die Planungen für das Nordbahnhofquartier können als Weiterentwicklung der Erfahrungen, die in der Seestadt Aspern und im Sonnwendviertel-Ost gemachten wurden, betrachtet werden. 

Zwei Forschungsprojekte der TU Wien begleiteten und unterstützen die Entwicklung des Nordbahnhofquartiers insbesondere hinsichtlich der Besiedelung der Erdgeschosszonen. Das Forschungsprojekt Mischung: possible (2015-16) diente der Sondierung unterschiedlicher Mischungsmodelle und das Forschungsprojekt Mischung: Nordbahnhof (2017-20) der Implementierung von Nutzungsmischung sowie der Unterstützung experimenteller Formate, wie der Plattform imGrätzl.at, das Konzept der Raumteiler, ein Impulslabor, die Nordbahnhalle und die Care + Repair Plattform. Unter Einbeziehung vielfältiger Akteur:innen und mit dem Ziel des Placemakings wurde ein Prozess der Bewusstseinsbildung und Sensibilisierung für das Thema der Nutzungsmischung angestoßen. 

Für die Erdgeschosszonen galt es als baufeldübergreifende Vorgabe einen urbanen Stadtsockel entlang drei zentraler Straßenzüge, mit einer Mindest-Raumhöhe von vier Metern umzusetzen. Für die Bruno-Marek-Allee war ein zweigeschossiger Sockel angestrebt, der sich unter anderem auch in der Regel niederschlägt, Balkone ab dem 2. Obergeschoss zuzulassen. Trotzdem realisierten die meisten Bauträger:innen im 1. Obergeschoss Wohnungen.  

Ein Erdgeschoss- und Quartiersmanagement (2018) diente zur Betreuung von laufenden Planungs-, Bebauungs- und Besiedelungsprozessen. Nach dem Vorbild der Seestadt Aspern ist für einen zentralen Teil der Erdgeschosslagen ein Erdgeschoss-Management vorgesehen. Anders als in der Seestadt wurden Anreize für kulturelle und urbane Nutzungen wie z. B. Entwicklungsflächen mit gestützten Mieten, gezielte kulturelle Schwerpunktsetzung sowie erweiterte Wohnprogramme für das urbane Wohnen im Erdgeschoss in der Planung berücksichtigt. 

Die Initialisierung von Wohnfolgeeinrichtungen als belebende Nutzungen in ausgewählten Erdgeschoßbereichen mit direktem Freiraumbezug, sowie die sorgsame Positionierung „dienender Räume“ (Müllräume, Kinderwagen- und Fahrradabstellräume, Zufahrten) ist eine Maßnahme, um dem Druck auf die Nullebene zu begegnen und aktive Erdgeschosse zu schaffen. 

Feldforschung | Wohnprojekt Wien, Wien

Besichtigung Wohnprojekt Wien, Wien
Führung und Gespräch mit Markus Zilker, Geschäftsführer einszueins Architekten, Wien

Am Gelände des ehemaligen Nordbahnhofs im 2. Bezirk entsteht bis 2025 ein neuer Stadtteil. Am Rudolf-Bednar-Park wurde darin 2014 der Wohnungsbau Wohnprojekt Wien mit 39 Wohneinheiten realisiert. Das Wohnprojekt Wien wurde im Rahmen eines städtebaulichen Ideenwettbewerbs initiiert und in einem partizipativen Planungsprozess mit den Bewohner:innen vom Architekturbüro einszueins mit dem gemeinnützigen Bauträger Schwarzatal umgesetzt. Durch die räumliche Erweiterung der Gemeinschafts- und der sogenannten Flexräume vom Erdgeschoss in das Untergeschoss leistet das Projekt einen interessanten Beitrag zur Thematik des Forschungsprojekts.

Der größte Flexraum, der für die Bewohner:innen ebenso wie für Externe buchbar ist, liegt an einem Lichthof im Untergeschoss und bietet Raum für vielfältige Veranstaltungen. Eine großzügige Gemeinschaftsküche und der räumlich angrenzende Kinderspielbereich im Erdgeschoss sind stark frequentiert und leisten einen Beitrag zum Thema des urbanen Wohnens. Durch die Reduzierung der privaten Wohnfläche um einige Quadratmeter in den oberen Geschossen werden die Gemeinschaftsflächen im Erd- und Untergeschoss finanziert. 

Feldforschung | Seestadt Aspern, Wien

Besichtigung der Seestadt-Aspern und Gespräch mit Peter Hinterkörner von der Entwicklungsgesellschaft Wien 3420 Aspern Development AG und Theresa Morandini vom Stadtteilmanagement. 

Die Seestadt Aspern auf dem ehemaligen Flugfeld außerhalb Wiens, die 2007 durch Tovatt Architects geplant wurde, ist mit 10.500 Wohnungen für 20.000 Bewohner:innen und Betriebsstätten für potenziell 15.000 Büroarbeitsplätze und 5.000 Arbeitsplätze in Gewerbe, Wissenschaft, Forschung und Bildung eines der größten Stadtentwicklungsgebiete Europas. Die Herausforderung eines neu gebauten Stadtteils dieser Größenordnung ist die Sicherung der wohnungsnahen Nahversorgung, gewerbliche, kulturelle und andere öffentlichkeitswirksame Erdgeschossnutzungen sowie die Belebung des öffentlichen Raums, insbesondere in den ersten Jahren und Bauabschnitten, d. h. solange eine kritische Masse von nachfragenden Bewohnerinnen und Bewohnern noch nicht existiert, soziale Strukturen erst im Entstehen sind und gleichzeitig die sofortige Verwertung der Flächen Bestandteil der Finanzierung ist. Dies ist auch bei den in Aspern zum Zuge kommenden gemeinnützigen Bauträgern der Fall. Aspern hat bezüglich der Erdgeschosse einen proaktiven Weg eingeschlagen. Durch Gehl Architects, Kopenhagen, wurde eine „Partitur des öffentlichen Raums“ konzipiert. Diese betrachtet Freiraum, Verkehr und Erdgeschossnutzungen als einen aufeinander abzustimmenden Planungsraum. Daraus ging ein gestufter Leitplan und ein Bewirtschaftungskonzept für die Sockelzonen hervor: In der roten Zone sind analog eines horizontalen Einkaufszentrums Geschäfte der Nahversorgung mit sogenannten Ankernutzungen vorgesehen. Hier garantiert die Einkaufsstraßen GmbH (SES Spar European Shopping Centers) mit ihrem firmeneigenen Portfolio den Entwicklern und Eigentümern der Baufelder die Vermietung der Läden auf 12 Jahre. Die rote Zone wirkt auf ortsfremde Besucher:innen sehr selbstverständlich: Kleinere und größere Geschäfte wechseln sich ab; Außengastronomie trägt zur Nutzung des sorgfältig gestalteten Außenraums bei. In der blauen Zone sind keine Wohnnutzungen zulässig und die Bauträger der einzelnen Baufelder müssen selbst für die Erdgeschossnutzungen sorgen. Zum Zeitpunkt der Besichtigung stellt sich dies als eine Herausforderung dar: Die blauen Zonen sind oftmals architektonisch unterentwickelt oder von Leerstand geprägt. Im Laufe des Umsetzungs- und Lernprozesses sind sogenannte grüne Zonen neu dazugekommen. In ihnen werden bis dahin unterrepräsentierte, aber notwendige und eingeforderte kulturelle und soziale Nutzungen wie Nachbarschaftsräume, Volkshochschulen oder Bibliotheken gefördert. Dafür hat die Entwicklungsgesellschaft Wien 3420 die Erdgeschosse der für das Mobilitätskonzept wichtigen Hochgaragen bestimmt, welche durch das rechtliche Mittel des Fruchtgenussrechts nur durch Ausgleich der Betriebskosten genutzt werden können.