Feldforschung | La Borda, Barcelona

Besichtigung Projekt La Borda Barcelona
Führung und Gespräch mit Cristina Gamboa, Lacol, Bewohnerin und Architektin 

„La Borda“ im Stadtteil Sants, La Bordeta von Barcelona ist ein „Manifest“ für quartiersbezogenes Zusammenleben. Die fünf- und siebengeschossige Blockrandschließung mit 26 um ein Atrium organisierten Wohneinheiten und einem ein- bis dreigeschossigen gewerblich und hausgemeinschaftlich genutzten Sockel fällt in der Straßenabwicklung des gemischtgenutzten Bestandsquartiers durch einen Durchgang, einen Laden mit bunter, feststehender Markise und ein transluzentes erstes und zweites Obergeschoss mit raumhohen Schiebetüren für Gemeinschaftsnutzungen auf. Das Projekt ist aus einer Nachbarschaftsinitiative für die soziale, nicht kommerzielle Nachnutzung des ehemaligen Industriegebiets Can Batlló hervorgegangen. „La Borda“ ist eine Wohn-Kooperative und als sozialer Wohnungsbau mit Einkommensbegrenzung gefördert. 2015, zur Zeit der spanischen Immobilienkrise und dem damit verbundenen Stillstand des Wohnungsbaus, wurde das Grundstück in Erbbaurecht für 75 Jahre vergeben. Es waren die prekären externen Rahmenbedingungen, die die Stadtverwaltung von Barcelona motivierten, diesen neuen Weg der Grundstücksvergabe zu gehen. 

Die erlaubte Ausnutzung des Grundstücks war im bestehenden Masterplan von den Architekten Battle i iRoig festgelegt. Auf eigene Motivation wurde im Sinn eines durchlässigen Stadtgefüges, durch das alle an der entstehenden Grünfläche partizipieren können, die im Masterplan vorgesehene geschlossene Raumkante durch eine zweigeschossige Durchwegung geöffnet. Im Gegenzug wird diese von der Stadt unterhalten. Die geforderten PKW-Stellplätze konnten auf Betreiben der Kooperative durch den Nachweis von Fahrradstellplätzen im Atrium ersetzt werden. Die Kosten einer Tiefgarage konnten so gespart und gleichzeitig ein nachhaltigeres Mobilitätsverhalten gefördert werden. 

Die Ausbildung des „Sockels“ ist von Suffizienz und einer solidarischen Wirkung ins Quartier geprägt. Weniger private Fläche resultiert bei gleicher Ausnutzung und der maximal gestatteten Wohnungsanzahl in mehr Fläche für gemeinsam genutzte Waschmaschinen, Küche, Gemeinschaftsräume und Gästewohnung. Überschlägig wurde anstatt neunzig Quadratmeter privater Fläche achtzig Quadratmeter private und zehn Quadratmeter gemeinschaftlich genutzter Raum umgesetzt. Die Ladenbetreiber:innen wurden aus dem nachbarschaftlichen Netzwerk rekrutiert und leisten in solidarischer Wirtschaftsweise einen Betrag zur gesunden Nahversorgung. In dem sich stark wandelnden Stadtteil fungieren die Gemeinschaftsflächen auch als sogenanntes „Refuge“-Gästezimmer. Waschmaschinen werden hier im Notfall, z. B. bei Räumungen, zur Verfügung gestellt.

Für das Innere des Gebäudes wirken die gemeinschaftlichen Flächen als „Puffer“ zum öffentlichen Raum. Im Erdgeschoss zum öffentlichen Park sind dazu die Küche, Essraum und Veranda angeordnet. Die auch für Kinderspiel genutzte zweigeschossige Gemeinschaftsfläche im ersten Obergeschoss ist eine im „Stadtunterbau“ hervorzuhebende Besonderheit. Die halbtransparente Polykarbonat-Fassade wurde zwar aus Kostengründen gewählt, doch hat sie sich inzwischen als Schutz der Privatsphäre der zum Teil vulnerablen Bewohner:innen und Gästebewährt. Das gemeinschaftliche Fenster zum öffentlichen Straßenraum erfüllte auch die klimatische Funktion der Querlüftung des Atriums im Sommer. Für die Buchung von Waschmaschinenzeit, Gemeinschaftsräumen und zukünftig dem Pflegebad wurde eine eigene App entwickelt.

Fachwerkstatt | Leibniz Universität Hannover

Zweitägige Fachwerkstatt an der Leibniz Universität Hannover
Institut für Entwerfen und Städtebau, Prof. Andreas Quednau

Im Rahmen einer zweitägigen Fachwerkstatt an der Leibniz Universität Hannover (LUH) waren neun Expert:innen zu einem Wissensaustausch eingeladen, um einerseits mit dem Forschungsteam und Studierenden des Seminars Stadtunterbau – Debatte das vielschichtige vorhandene Wissen zu den unteren Geschossen von Wohngebäuden und die Erfahrung aus Praxisbeispielen zusammenzutragen und andererseits Hemmnisse herauszuarbeiten, die der Umsetzung der Nutzungsmischung sowohl auf Quartiers- als auch auf Gebäudeebene entgegenwirken und oftmals verhindern. Vor dem Hintergrund verschiedener örtlicher Kontexte wurden Instrumente auf unterschiedlichen Handlungsebenen herausgearbeitet, verglichen und hinsichtlich ihrer Übertragbarkeit diskutiert.

Zu den Teilnehmenden zählten Expert:innen, die Forschungen und Publikationen zum Thema Nutzungsmischung bzw. Erdgeschosszone getätigt haben (Zoller, Spars, Temel), die relevant für das Forschungsprojekt sind oder die Erfahrung im Bereich der Projekt- oder der Quartiersentwicklung haben.

Für die Abbildung eines möglichst breiten Wissen- und Erfahrungsspektrums wurden Expert:innen aus unterschiedlichen geographischen Regionen (Wien, Zürich, München, Stuttgart, Hannover, Berlin) sowie aus unterschiedlichen Tätigkeitsfeldern eingeladen. Die vielfältigen Perspektiven der an der Umsetzung von Nutzungsmischung beteiligten Akteur:innen aus den Bereichen Architektur, Projektentwicklung (Genossenschaft, Wohnungsbaugesellschaft, Bauträger:innen, Baugruppe), Verfahrensorganisation und Ökonomie konnten so in die Diskussion eingebracht werden.

Liste der Teilnehmenden:

  • Benita Braun-Feldweg – Architektin, Entwicklerin und Bauherrin Metropolenhaus am Blumengroßmarkt, Berlin 
  • Sandra Gebauer – Projektleiterin der Gundlach Bau- und Immobiliengesellschaft, Hannover
  • Urs Kumberger – Architekt, Mitbegründer Teleinternetcafe, Berlin und Gründungsmitglied der Genossenschaft „Das große kleine Haus“, München
  • David Robotham – Stadtsoziologe und Projektmanager der Wohnungsbaugenossenschaft „Am Ostseeplatz” eG, Berlin 
  • Dr. Guido Spars – Gründungsdirektor der Bundesstiftung Bauakademie, Berlin und Professor für Ökonomie des Planens & Bauens, Bergische Universität Wuppertal  
  • Robert Temel – Architektur- und Stadtforscher und Verfahrensorganisator Sonnwendviertel Ost, Wien 
  • Claudia Thiesen – Architektin und Vorstandsmitglied mehrerer Wohnbaugenossenschaften – u. a. „mehr als wohnen“ und „Kraftwerk 1“, Zürich 
  • Dr. Doris Zoller – Geschäftsführerin der Wohnungsbaugesellschaft GEWOFAG München und Autorin von „Herausforderung Erdgeschoss“ und „Schnittstelle Erdgeschoss“ 
  • Sacha Rudolf, Architekt und Projektleiter der IBA’27, Stuttgart 

Feldforschung | Quartier Zwicky Süd, Zürich

Besichtigung Quartier Zwicky Süd, Zürich Dübendorf
Bau- und Wohngenossenschaft Kraftwerk 1

Die dezentrale Lage von Zwicky Süd in der Agglomeration von Zürich, zwischen Kernstadt und Flughafen, umgeben von alten Industriegebäuden, Autobahnen, Möbelhäusern und einem Bahnviadukt machen den Standort zu einem Risikostandort. Etablierte Projektentwickler:innen wagten sich bislang nicht an diesem Ort ein Projekt zu entwickeln. Erst in Kooperation mit der Genossenschaft Kraftwerk 1 bildete sich ein produktives Dreiergespann aus Investor:innen, Genossenschaft und Architekt:innen, die im Rahmen eines Wettbewerbs (Studienauftrag) ausgewählt wurden. Das baulich-räumliche Konzept für Zwicky Süd besteht aus einem von den Architekt:innen entwickelten sogenannten „Ökosystem der (Gebäude-)Typen“ bestehend aus (Wohn-)Scheiben, dem „Hallentyp“ und dem „Blocktyp“. Die „(Wohn-)Scheibe“ verläuft ringförmig um das Quartier und schützt es vor Verkehrslärm. Die Wohnungen sind zum Hof orientiert und werden über Laubengänge erschlossen. Sie können in unterschiedlichen Wohnungsgrößen unterteilt werden. Der zweigeschossige Hallentyp, mit dem die Wohnscheiben unterbaut sind, ist vor allem für gewerbliche Nutzungen konzipiert, kann aber auch für eine Wohnnutzung in Maisonettewohnungen unterteilt werden. Zwei massive „Blocktypen“ im Inneren des Quartiers können kleine und mittlere Betriebe und auch Wohnungen aufnehmen. Im Zusammenspiel des breiten Nutzungs- und Angebotsspektrums, durch die soziale Dichte und Kompaktheit der räumlichen Typen ist die Anlage zu einem kraftvollen Ort in der Agglomeration von Zürich geworden.

Feldforschung | Zollhaus, Zürich

Besichtigung Projekt Zollhaus
Führung und Gespräch mit Philipp Fischer, Enzmann Fischer Architekten und Jonathan Kischkel, Geschäftsführung Genossenschaft Kalkbreite 

Die Genossenschaft Kalkbreite konnte im Oktober 2012 vom Dachverband der Wohnbaugenossenschaften Zürich im Auftrag der Grundeigentümerinnen SBB und Stadt Zürich nach überzeugender Konzeptvorstellung das in der Nähe zum Züricher Hauptbahnhof gelegene, ca. 5.000 m² große Grundstück an der Ecke Langstrasse/Zollstrasse erwerben. 

Mit einem Nutzungsmix aus Wohnen, Arbeiten, Gewerbe, Dienstleistungen, Kultur und Gemeinschaftsangeboten leistet das Zollhaus einen Beitrag zum lokalen Wirtschaften, urbanen Wohnen und zu neuen Formen der Arbeit. Entlang der Zollstrasse sind Ladenflächen sowie Gastronomie und ein Kulturtheater im Erdgeschoss angesiedelt. Die Genossenschaft Kalkbreite kuratiert die Nutzer:innen für diese Flächen. Bevorzugt werden Nutzer:innen die Produkte aus eigener oder lokaler Produktion anbieten und lokale Netzwerke unterstützen. Für die gewerblichen Flächen verlangt die Genossenschaft Kalkbreite marktübliche Mieten. Bei gastronomischen Betrieben wird eine Umsatzmiete berechnet, die im innerstädtischen, stark frequentierten Umfeld des Zollhauses hoch ausfällt. Die Mieteinnahmen, die durch Gewerbe und Gastronomie erwirtschaftet werden, ermöglichen der Genossenschaft eine erweiterte Öffentlichkeitsarbeit und das Betreiben einer Partizipationsstelle. Während der Corona-Jahre war es möglich, die Defizite des Hotels auszugleichen. Es können sognannte Flexräume unterschiedlicher Größe für Meetings, Konferenzen und Seminare von Bewohner:innen sowie Externen angemietet werden. Durch ein großes Atrium wird der öffentliche Raum weit in das Gebäude hineingezogen. Dort werden Übergänge zwischen den privat, gemeinschaftlich und öffentlich ausgerichteten Ebenen hergestellt.

Feldforschung | Hunziker Areal, Zürich

Besichtigung Hunziker Areal, Zürich-Leutschenbach
Führung und Gespräch mit Claudia Thiesen, Vorstandsmitglied der Genossenschaft mehr als wohnen

Die Baugenossenschaft mehr als wohnen übernahm 2010 das 41.000 m² große Hunziker Areal im Erbbaurecht und entwickelte ein Genossenschaftsquartier mit Fokus auf eine urbane Mischung und neuen Formen des Wohnens und Arbeitens. Seit 2014 bietet das Hunziker Areal Wohnraum für mehr als 1.200 Menschen. Auf dem Gelände sind außerdem ca.150 Arbeitsplätze entstanden.

Das Projekt zeigt auf, wie in einer städtischen Randlage ein vertikal mischgenutztes Quartier umsetzbar ist. Die Mischnutzung wurde in einem partizipativen Prozess mit gemeinsamer Ideenentwicklung innerhalb der Genossenschaft rückverankert. 

Nur in den Erdgeschossen (Hochparterre) zu den umliegenden Grünräumen wird gewohnt. Dadurch besteht größtenteils eine Unterlegung des Wohnens mit gewerblichen und gemeinschaftlichen Nutzungen im Erdgeschoss. Die Nutzungen sind abgestuft zoniert, in „öffentlich“ an der äußeren Erschließungsstraße mit Läden und Gastronomie, „quartiersbezogen“ mit Gewerbe, Sozialräumen, Werkstätten und gemeinschaftlich genutzten Allmend-Räumen (gesamt ca. 800 m²) sowie „privat“ mit Wohnen zum Park. Die räumliche Struktur und das Finanzierungskonzept der Erdgeschossflächen erlauben es den Bewohner:innen partizipativ über die Allmend-Nutzungen (mit-)zu bestimmen und ihre gewerblichen, kulturellen und sozialen Aktivitäten in den Sockel „auszulagern“. Insgesamt wird eine lebendige Nachbarschaft mit verschiedenen Aktionsschwerpunkten durch die nach Öffentlichkeitsgraden „kuratierte“ Wechselwirkung zwischen Erdgeschossnutzung und dem Quartiersfreiraum gefördert. Nach Aussage der Genossenschaft und auch aufgrund fehlender, zum Teil sichtbarer Gebrauchsspuren, hätte eine stärkere Aneignung und Aktivierung der Quartiersräume durch eine „weichere“ Ausführung der Vorzonen erreicht werden können. 

Feldforschung | San Riemo, München Riem

Besichtigung Wohnungsbau San Riemo in München Riem, Genossenschaft Kooperative Großstadt; Führung und Gespräch mit Mathias Lahmann, Reem Almannai und Florian Fischer, Bewohner:innen 

Kooperative Großstadt eG ist eine von Architekt:innen gegründete Genossenschaft, die ihre Ziele in Arbeitskreisen und einem öffentlichen Symposium entwickelt und schließlich in ihre Satzung eingeschrieben hat. Dazu gehören die Grundsätze: „Wir wollen für die Bewohner /Bewohnerinnen und die Stadt bauen. Wir wollen durchmischt bauen und wir wollen großstädtisch bauen“. 

Mit zwei weiteren Genossenschaften (Wagnis, WOGENO) erhielt die KooGro ihren ersten Zuschlag für ein Grundstück in München Riem. Ein Neubauquartier, das die Nahversorgung in einer Shopping Mall konzentriert – ein Grund dafür, dass es hier besonders schwer war Konzepte der vertikalen Nutzungsmischung umzusetzen. Es erforderte Geduld, Durchhaltevermögen und ein hohes Maß an Idealismus. Nachdem die KooGro die Arbeiterwohlfahrt im laufenden Planungsprozess ihr Interesse für die geplante Werkstatt im Erdgeschoss zurückzog, musste nach alternativen Erdgeschoss-Nutzungen gesucht werden. Mehrere Nutzungsvarianten wurden durchgespielt – Werkstätten mit Ladezone, Musikräume, studentische Wohnformen. Durch eine Werbekampagne konnte schließlich die heutige Nutzerin, eine Stiftung für Kinder- und Jugendhilfe als Mieterin für die Räumlichkeiten im Erdgeschoss gefunden werden. 

Daneben bietet das Erdgeschoss im San Riemo Raum für eine großzügige Gemeinschaftshalle mit Eingangslobby, Waschküche, Spiel- und Aufenthaltsräume, für eine gemeinschaftlich genutzte Werkstatt, für ein Gästeapartment und für eine Gemeinschaftsküche, die einen direkten Zugang zum öffentlichen Raum hat. Durch eine Schiebetür und einen schwellenlosen Übergang zum Vorplatz und Gehweg, lässt sich die Küche in den öffentlichen Raum erweitern. Die Küche ist durch ein großes Fenster einsehbar. Die im Sommer ausgefahrene Markise, über die in derselben Pflasterung wie der Gehweg ausgebildeten Vorzone, wirkt einladend, bespielt die platzartige Situation und trägt zur Interaktion mit dem nachbarschaftlichen Umfeld bei. Über eine Mobilitätsstation und gemeinsam genutzte Tiefgarage ist das San Riemo auch mit dem benachbarten Genossenschaftsbau RIO verknüpft. Die großzügigen Gemeinschaftsflächen und gemeinschaftlich nutzbaren Einrichtungen werden von den Bewohner:innen des San Riemo über eine Umlage finanziert. Zum Ausgleich haben sie auf einige Quadratmeter an privater Wohnfläche in ihren Wohnungen verzichtet. 

Feldforschung | RIO, München Riem

Besichtigung Projekt RIO in München Riem, Wagnis Wohnungsbaugenossenschaft
Führung und Gespräch mit Angelika Zwingel, Architektin und Lena Skublics, wogeno

Der Wohnungsbau RIO in München Riem ist ein Gemeinschaftsprojekt der Wohnbaugenossenschaften wagnis eG und WOGENO, in dem nach dem München-Modell EK III und EK IV 150 geförderte und freifinanzierte Wohnungen entstanden sind. Durch die enge Kooperation der beiden Genossenschaften konnten vielfältige gemeinschaftlich und gewerblich genutzte Räume im Erdgeschoss für die Bewohner:innen, sowie für die Nachbar:innen geschaffen werden. Eine selbstorganisierte Hausverwaltung kümmert sich um die Veranstaltungs- und Gemeinschaftsräume, den Co-Working-Space, die Mobilitätszentrale mit Sharing-Angeboten, den Laden mit Stadtteilbibliothek und den Concierge-Bereich, der als erweitertes Wohnzimmer mit angegliedertem Waschsalon fungiert. Diese Nutzungen sind an den städtebaulich wichtigen Ecksituationen und Durchgängen verortet. Die Atelierwohnungen mit Schaufensterfront im Erdgeschoss zur Willy-Brandt-Allee sind aus dem öffentlichen Raum zugängliche Wohneinheiten. Sie ermöglichen die Verbindung von Wohnen und gewerblicher Nutzung und adressieren das Potential der Wandelbarkeit vom Wohnen zu Gewerbe und umgekehrt. Dafür ist es wichtig, wie das Erdgeschoss typologisch ausgebildet und wie die rechtlichen Rahmenbedingungen ausgestaltet sind, damit eine Nutzungsänderung von Wohnen zu Gewerbe zu einem späteren Zeitpunkt tatsächlich möglich ist, wenn sich die Nachfrage ändert und gewerbliche Nutzungen nachgefragt sind.

Im RIO werden die meisten Atelierwohnungen nicht für gewerbliche Zwecke genutzt. Derzeit befinden sich dort eine Physiotherapiepraxis und eine Hausaufgabenhilfe. Außerdem wohnt dort eine Musiklehrerin, die im Atelierraum Klavierunterricht gibt. Im Schaufenster zum öffentlichen Raum können Werbung und Produkte präsentiert werden. Die geringe Publikumsfrequenz in München Riem erschwert jedoch die aktive Bespielung der Erdgeschossflächen. Klassische Ladenlokale sind hier nicht umsetzbar. Die Gemeinschaftsräume und Atelierwohnungen im Erdgeschoss leisten einen Beitrag zum urbanen Wohnen. Sie adressieren den öffentlichen Raum. So werden zumindest kleine Impulse für die Nachbarschaft gesetzt. Der gemeinschaftlich genutzte Innenhof schafft räumliche Synergien zwischen den Genossenschaftshäusern RIO und San Riemo und trägt zur Vernetzung im Quartier bei. 

Review | Leibniz Universität Hannover

Abschlusspräsentation der Ergebnisse des Seminars „Urban Base – Stadtunterbau“ an der Leibniz Universität Hannover. 

Im Rahmen des Seminars setzten sich Studierende anhand ausgewählter Projekte mit dem Stadtunterbau als Schwellenraum auseinander. In typologischen Studien untersuchten sie den stufenweisen Übergang zwischen dem Innenraum des Gebäudes und dem Stadtraum als Übergang zwischen privatem und öffentlichen Raum. In Schnittperspektiven und kombinierten An- und Aufsichten wurde das Ineinanderwirken von Raum und Gebrauch untersucht und die Bandbreite architektonischer Ansätze sichtbar gemacht und gegenübergestellt.

Lehrende: Prof. Andreas Quednau, Dipl.-Ing. Ina-Marie Kapitola und Dipl.-Ing. Antje Buchholz

Feldforschung | Quartier Sonnwendviertel Ost, Wien

Besichtigung des östlichen Teilgebiet des Sonnwendviertels und des Quartiershaus’ MIO und Gespräch mit Peter Roitner und Hermann Koller von der Wohnbaugenossenschaft Heimbau sowie Ernst Gruber vom Büro wohnbund:consult.

Aufbauend auf den Erfahrungen der Seestadt Wien-Aspern wurden im Sonnwendviertel Ost „Leben am Helmut-Zilk-Park“ 2012 Ansätze der Mischnutzung weiterentwickelt. Dabei standen insbesondere die Kleinteiligkeit der räumlichen Strukturen, Nutzungsmischung, öffentlichkeitsorientierte Nutzungen, Fußläufigkeit und eine qualitätsvolle Freiraumgestaltung im Vordergrund. Die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) und die Stadt Wien einigten sich auf eine Planungsstrategie für das Quartier, die als besondere Stadtbausteine sogenannte Quartiershäuser sowie Baugruppenprojekte beinhaltete. Der Verkauf der hierfür vorgesehenen Grundstücke erfolgte zum Fixpreis in qualitätssichernden Konzeptverfahren. Darin waren die Nutzungskonzepte für die Erdgeschosse ein zentrales Vergabekriterium. „Die Grundidee war, dass man durch eine gute Mischung von ohne Auflagen verkauften Grundstücken und solchen, die gewisse Kriterien einhalten mussten, insgesamt einen lebenswerten und urbanen Stadtteil entstehen lässt“ (Robert Temel). Im Rahmen des Bebauungs- und Flächenwidmungsplans wurde entlang der als Geschäftsstraße ausgewiesenen inneren Promenade an bestimmten Flächen im Erdgeschoss eine Stadtsockelzone ausgewiesen, mit einer Geschosshöhe von mindestens 4 Metern, dem Ausschluss von Wohnnutzungen und eine Höchstnettokaltmiete von 4 €/m2, die für 10 Jahre garantiert werden musste. Diese Strategie so gemeinwohlorientierte Nutzungen zu fördern, ging zum großen Teil auf und trägt zum nachbarschaftsbildenden Alltagsleben im Quartier bei. Andererseits wurde die Idee des Stadtsockels aber auch konterkariert, indem anstelle der günstigen Gewerbeflächen Funktionsräume wie Fahrradstellplätze oder Müllräume angeordnet wurden, die nicht zur Urbanität beitragen.

Das MIO, geplant von StudioVlayStreeruwitz, verfolgte einen im Sinne der Quartiersstrategie zugespitzten Ansatz und bietet neben Kleinstgewerbeeinheiten eine sogenannte „Stadtloggia“ an. Dadurch konnte eine in die Nachbarschaft wirkende Gemeinschaft von Mikro-Pilotinnen und -Piloten entstehen. Möglich wurde dies durch gebäudeinterne Querfinanzierung seitens der Wohnbaugenossenschaft Heimbau und einen die potentiellen Existenzgründer:innen zusammenführenden Prozess, der schon während der Planungsphase begann und von dem Büro wohnbund:consult geleitet wurde.

Feldforschung | Quartier Nordbahnviertel, Wien

Besichtigung des in Realisierung befindlichen Nordbahnhofquartiers
Führung mit Lina Streeruwitz und Bernd Vlay, Studio VlayStreeruwitz, Architekt:innen des Masterplans für das Nordbahnhofquartier „Freie Mitte – Vielseitiger Rand“

2012 wurde im städtebaulichen Wettbewerb für das Nordbahnhofquartier das Konzept „Freie Mitte – Vielseitiger Rand“ vom Studio VlayStreeruwitz ausgewählt. Nutzungsmischung, Nutzungsvielfalt und der Fokus auf die Gestaltung der Erdgeschosse ist wichtiger Bestandteil des städtebaulichen Konzepts. Die Planungen für das Nordbahnhofquartier können als Weiterentwicklung der Erfahrungen, die in der Seestadt Aspern und im Sonnwendviertel-Ost gemachten wurden, betrachtet werden. 

Zwei Forschungsprojekte der TU Wien begleiteten und unterstützen die Entwicklung des Nordbahnhofquartiers insbesondere hinsichtlich der Besiedelung der Erdgeschosszonen. Das Forschungsprojekt Mischung: possible (2015-16) diente der Sondierung unterschiedlicher Mischungsmodelle und das Forschungsprojekt Mischung: Nordbahnhof (2017-20) der Implementierung von Nutzungsmischung sowie der Unterstützung experimenteller Formate, wie der Plattform imGrätzl.at, das Konzept der Raumteiler, ein Impulslabor, die Nordbahnhalle und die Care + Repair Plattform. Unter Einbeziehung vielfältiger Akteur:innen und mit dem Ziel des Placemakings wurde ein Prozess der Bewusstseinsbildung und Sensibilisierung für das Thema der Nutzungsmischung angestoßen. 

Für die Erdgeschosszonen galt es als baufeldübergreifende Vorgabe einen urbanen Stadtsockel entlang drei zentraler Straßenzüge, mit einer Mindest-Raumhöhe von vier Metern umzusetzen. Für die Bruno-Marek-Allee war ein zweigeschossiger Sockel angestrebt, der sich unter anderem auch in der Regel niederschlägt, Balkone ab dem 2. Obergeschoss zuzulassen. Trotzdem realisierten die meisten Bauträger:innen im 1. Obergeschoss Wohnungen.  

Ein Erdgeschoss- und Quartiersmanagement (2018) diente zur Betreuung von laufenden Planungs-, Bebauungs- und Besiedelungsprozessen. Nach dem Vorbild der Seestadt Aspern ist für einen zentralen Teil der Erdgeschosslagen ein Erdgeschoss-Management vorgesehen. Anders als in der Seestadt wurden Anreize für kulturelle und urbane Nutzungen wie z. B. Entwicklungsflächen mit gestützten Mieten, gezielte kulturelle Schwerpunktsetzung sowie erweiterte Wohnprogramme für das urbane Wohnen im Erdgeschoss in der Planung berücksichtigt. 

Die Initialisierung von Wohnfolgeeinrichtungen als belebende Nutzungen in ausgewählten Erdgeschoßbereichen mit direktem Freiraumbezug, sowie die sorgsame Positionierung „dienender Räume“ (Müllräume, Kinderwagen- und Fahrradabstellräume, Zufahrten) ist eine Maßnahme, um dem Druck auf die Nullebene zu begegnen und aktive Erdgeschosse zu schaffen.