Feldforschung | Wohnprojekt Wien, Wien

Besichtigung Wohnprojekt Wien, Wien
Führung und Gespräch mit Markus Zilker, Geschäftsführer einszueins Architekten, Wien

Am Gelände des ehemaligen Nordbahnhofs im 2. Bezirk entsteht bis 2025 ein neuer Stadtteil. Am Rudolf-Bednar-Park wurde darin 2014 der Wohnungsbau Wohnprojekt Wien mit 39 Wohneinheiten realisiert. Das Wohnprojekt Wien wurde im Rahmen eines städtebaulichen Ideenwettbewerbs initiiert und in einem partizipativen Planungsprozess mit den Bewohner:innen vom Architekturbüro einszueins mit dem gemeinnützigen Bauträger Schwarzatal umgesetzt. Durch die räumliche Erweiterung der Gemeinschafts- und der sogenannten Flexräume vom Erdgeschoss in das Untergeschoss leistet das Projekt einen interessanten Beitrag zur Thematik des Forschungsprojekts.

Der größte Flexraum, der für die Bewohner:innen ebenso wie für Externe buchbar ist, liegt an einem Lichthof im Untergeschoss und bietet Raum für vielfältige Veranstaltungen. Eine großzügige Gemeinschaftsküche und der räumlich angrenzende Kinderspielbereich im Erdgeschoss sind stark frequentiert und leisten einen Beitrag zum Thema des urbanen Wohnens. Durch die Reduzierung der privaten Wohnfläche um einige Quadratmeter in den oberen Geschossen werden die Gemeinschaftsflächen im Erd- und Untergeschoss finanziert. 

Feldforschung | Seestadt Aspern, Wien

Besichtigung der Seestadt-Aspern und Gespräch mit Peter Hinterkörner von der Entwicklungsgesellschaft Wien 3420 Aspern Development AG und Theresa Morandini vom Stadtteilmanagement. 

Die Seestadt Aspern auf dem ehemaligen Flugfeld außerhalb Wiens, die 2007 durch Tovatt Architects geplant wurde, ist mit 10.500 Wohnungen für 20.000 Bewohner:innen und Betriebsstätten für potenziell 15.000 Büroarbeitsplätze und 5.000 Arbeitsplätze in Gewerbe, Wissenschaft, Forschung und Bildung eines der größten Stadtentwicklungsgebiete Europas. Die Herausforderung eines neu gebauten Stadtteils dieser Größenordnung ist die Sicherung der wohnungsnahen Nahversorgung, gewerbliche, kulturelle und andere öffentlichkeitswirksame Erdgeschossnutzungen sowie die Belebung des öffentlichen Raums, insbesondere in den ersten Jahren und Bauabschnitten, d. h. solange eine kritische Masse von nachfragenden Bewohnerinnen und Bewohnern noch nicht existiert, soziale Strukturen erst im Entstehen sind und gleichzeitig die sofortige Verwertung der Flächen Bestandteil der Finanzierung ist. Dies ist auch bei den in Aspern zum Zuge kommenden gemeinnützigen Bauträgern der Fall. Aspern hat bezüglich der Erdgeschosse einen proaktiven Weg eingeschlagen. Durch Gehl Architects, Kopenhagen, wurde eine „Partitur des öffentlichen Raums“ konzipiert. Diese betrachtet Freiraum, Verkehr und Erdgeschossnutzungen als einen aufeinander abzustimmenden Planungsraum. Daraus ging ein gestufter Leitplan und ein Bewirtschaftungskonzept für die Sockelzonen hervor: In der roten Zone sind analog eines horizontalen Einkaufszentrums Geschäfte der Nahversorgung mit sogenannten Ankernutzungen vorgesehen. Hier garantiert die Einkaufsstraßen GmbH (SES Spar European Shopping Centers) mit ihrem firmeneigenen Portfolio den Entwicklern und Eigentümern der Baufelder die Vermietung der Läden auf 12 Jahre. Die rote Zone wirkt auf ortsfremde Besucher:innen sehr selbstverständlich: Kleinere und größere Geschäfte wechseln sich ab; Außengastronomie trägt zur Nutzung des sorgfältig gestalteten Außenraums bei. In der blauen Zone sind keine Wohnnutzungen zulässig und die Bauträger der einzelnen Baufelder müssen selbst für die Erdgeschossnutzungen sorgen. Zum Zeitpunkt der Besichtigung stellt sich dies als eine Herausforderung dar: Die blauen Zonen sind oftmals architektonisch unterentwickelt oder von Leerstand geprägt. Im Laufe des Umsetzungs- und Lernprozesses sind sogenannte grüne Zonen neu dazugekommen. In ihnen werden bis dahin unterrepräsentierte, aber notwendige und eingeforderte kulturelle und soziale Nutzungen wie Nachbarschaftsräume, Volkshochschulen oder Bibliotheken gefördert. Dafür hat die Entwicklungsgesellschaft Wien 3420 die Erdgeschosse der für das Mobilitätskonzept wichtigen Hochgaragen bestimmt, welche durch das rechtliche Mittel des Fruchtgenussrechts nur durch Ausgleich der Betriebskosten genutzt werden können.

Feldforschung | Nova City, Brüssel

Baustellenführung durch die Projektleiterin Laura Janssens von Bogdan van Broek Architekten.

Seit mehr als 40 Jahren entwickelt City.Dev Projekte mit dem Ziel, die funktionale und soziale Mischung in der Stadtregion Brüssel zu stärken. Die demographische Entwicklung in der Region Brüssel-Hauptstadt zeigt ein exponentielles Wachstum der Einwohnerzahlen. Die Herausforderung besteht darin, die Zahl der Wohnungen zu erhöhen und gleichzeitig produktive Aktivitäten, die aufgrund störender Emissionen und der im Vergleich zum Wohnen schwierigeren Vermarktung zunehmend aus der Innenstadt verdrängt werden, in der Stadt aufrechtzuerhalten. Nova City ist ein Pilotprojekt, das zeigt, wie Wohnen und Gewerbe auf verträgliche Art und Weise kombiniert werden können. Bis Anfang 2023 sollen nach der Planung der Architekten Bogdan van Broek in der Erdgeschosszone 7 produktive Ateliers ohne Wohnnutzung in den oberen Geschossen für Gewerbe mit höheren Emissionen und 9 weitere in Kombination mit Wohnen realisiert werden.

Vortrag | Dr. Silvia Forlati „Mischung: Possible“

Im Rahmen des Seminars „Stadtunterbau“ hielt Dr. Silvia Forlati (TU-Wien) an der Leibniz Universität

Hannover einen Vortrag, in dem sie die Verzahnung von Forschung und Praxis demonstrierte und Implementierungsstrategien der Nutzungsmischung im Kontext des in Umsetzung befindlichen Nordbahnhofquartiers in Wien auf Basis eins Masterplans (2014) von StudioVlayStreeruwitz erläuterte. Begleitend zur Planung entstanden dort, unter Federführung der TU Wien, in Kooperation mit StudioVlayStreeruwitz und weiteren Kooperationspartnern, zwei aufeinander aufbauende Forschungsprojekte: „Mischung: Possible!“ (2016-2017) diente als Sondierungsprojekt, bei dem Typologien und Szenarien künftiger Nutzungsmischung untersucht wurden, während in der Folgeforschung „Mischung Nordbahnhof“ (2017-2020) die Umsetzung aktiv begleitet und vielfältige Strategien der Implementierung von Nutzungsmischung im Nordbahnquartier getestet wurden.

Dabei wurden hinsichtlich des „Stadtunterbaus“ interessante Fragen der Beteiligung, der Kleinteiligkeit und des Raumteilens adressiert, woraus zahlreiche Initiativen und innovative Organisationsformen hervorgegangen sind, wie zum Beispiel „Raumteiler Hubs“, die kleinteilige und flexible Formen des Arbeitens unterstützen und impulsgebend auf das Quartier wirken.

Feldforschung | Quartier Sluseholmen, Kopenhagen

Im Rahmen des Seminars „Stadtunterbau“ besichtigte eine Studentin Sluseholmen im Südhafen von Kopenhagen.

Der Masterplan und ein Gestaltungshandbuch wurden 2003-2009 von Soeters Van Eldonk architecten, Amsterdam, und Arkitema Architects, Kopenhagen, erarbeitet. Sluseholmen besteht aus acht Wohninseln, die durch Kanäle voneinander getrennt sind. Die Höfe im Blockinneren sind von Tiefgaragen unterlegt und daher auf einem höheren Niveau als das Straßenniveau. Die zu den öffentlichen Räumen liegenden Erdgeschosse sind somit mit einer ca. anderthalbfachen Geschosshöhe konzipiert. Sie sollten zunächst mit Wohnnutzungen belegt werden und bei Bedarf nach einigen Jahren, wenn das Gebiet vollständig bewohnt ist, in eine dann einträgliche gewerbliche Nutzung umgewandelt werden können. So entstand die Idee eines temporären, einen Meter hohen Podiums, das sich über der Nullebene befindet. Das Podium sollte die Wohnebene von der öffentlichen Straßenebene abheben und eine Umnutzung zu einem Ladengeschäft erleichtern. Diese Idee wurde jedoch nicht umgesetzt. 

Stattdessen sind die meisten zum öffentlichen Raum liegenden Wohnungen als Hochparterre ausgebildet. Nur einige der an den Kanalpromenaden liegenden Eckhäuser wurden mit einem besonders hohen, von außen zugänglichen Erdgeschoss und mit einem die Privatsphäre sichernden bzw. eine Vorzone ausbildenden Rücksprung realisiert. Hier ist eine gewerbliche Nutzung in der Zukunft denkbar. Im Erdgeschoss der Hauptstraße befinden sich der Nahversorgung dienende Geschäfte, von denen noch nicht alle vermietet sind.

Vortrag | Juliane Greb „San Riemo“

Juliane Greb hielt im Rahmen des Seminars „Stadtunterbau“ an der Leibniz Universität Hannover einen Vortrag zum Wohnbauprojekt „San Riemo“, das 2020 in München-Riem fertiggestellt wurde. Darin gab sie Einblicke in den Entwicklungs- und Gestaltungsprozess des genossenschaftlichen Bauens und das Ziel der Partizipation durch Einbindung der Genossenschaftsmitglieder bereits in der Projektentwicklungsphase. Unterschiedliche Wohnformen (Nukleuswohnen, Basiswohnen, Filialwohnen) sprechen unterschiedliche soziale Bedürfnisse an und fördern die Einsparung von Wohnraum zugunsten der Gemeinschaftsflächen im Erdgeschoss. Diese Flächen bieten Raum für eine Bildungseinrichtung für Jugendliche sowie einen großzügigen Gemeinschaftsbereich mit Zugang zum Garten und zur Straße, der vielfältig genutzt und gestaltet werden kann.

Feldforschung | Archipélia Social Center, Paris

Gespräch mit Sami Aloulou, Architecte associé von Septembre Architecture & Urbanisme und Führung durch das Archipélia Social Center in Paris. 

2019 baute die Genossenschaft Paris Habitat in Zusammenarbeit mit Septembre Architecture & Urbanisme das Erdgeschoss eines Sozialwohnungskomplexes aus den 1970er Jahren um. Das Umbauprojekt wurde vom Verein “Archipélia“ initiiert und die Umbauplanung unter seiner ständigen Beteiligung durchgeführt. Archipélia wurde 2001 auf Wunsch von Bewohnern des Viertels gegründet, die einen Ort für Treffen, Aktivitäten und interkulturellen Austausch schaffen wollten, und ist ein soziales Zentrum, das der Fédération des Centres sociaux d’île-de-France angehört und die Charta der sozialen Zentren mit der Stadt Paris unterzeichnet hat. Im Stadtteil Belleville setzt Archipélia drei Prioritäten: Verbesserung der Lebensqualität, Bekämpfung des Gefühls der Isolation und des Verlassenseins und Einbeziehung der Bewohner:innen in das Leben des Viertels. Ziel war es, die Sichtbarkeit des Vereins zu verbessern, die Fassade als Display zu nutzen und den Straßenraum für temporäre Nutzungen zu aktivieren.

Bauwelt Kongress 2022

Jürgen Patzak-Poor stellte auf dem Bauwelt-Kongress 2022 zum Thema 15-Minuten-Stadt das Forschungsprojekt „Stadtunterbau“ vor. Der Begriff der 15-Minuten-Stadt steht für eine architektonische und urbane Transformation, in der die Dinge des täglichen Lebens wieder in die Reichweite der Bewohner gerückt werden. In diesem Zusammenhang unterstrich Jürgen Patzak-Poor die Bedeutung der unteren Geschosse von Wohngebäuden für eine kompakte, gemischt genutzte Stadt und stellte die Forschungsthese zur Diskussion, dass die als “Stadtunterbau” bezeichnete Schnittstelle zwischen Gebäude und Stadt einen eigenen Betrachtungs- und Planungsraum erfordert.

Seminar | Leibniz Universität Hannover

Im Rahmen des Seminars wurden besonders innovative in Deutschland und den europäischen Nachbarländern realisierte Modellprojekte vertikaler Mischung in Form von Fallstudien untersucht. Für jedes Modellprojekt wurde die baulich-typologische Ausformulierung der erweiterten Erdgeschosszone herausgearbeitet und die spezifische Programmierung, die rechtlichen Voraussetzungen, die Prozesse der Umsetzung und des Betriebs sowie die notwendigen Organisationsstrukturen betrachtet.
Die verschiedenen Betrachtungsebenen wurden in drei aufeinanderfolgenden Themenblöcken behandelt und einzeln untersucht. Komplementiert wurde diese Untersuchung durch eine literaturgestützte Auseinandersetzung und Diskussionen als Fortsetzung der aktuellen Stadtdebatte über gemeinwohlorientierte Mehrwerte, Innovationen und Perspektiven sowie Hardware, Software und Orgware im Zusammenhang mit der erweiterten Erdgeschosszone.

Lehrende: Prof. Andreas Quednau, Dipl.-Ing. Ina-Marie Kapitola und Dipl.-Ing. Antje Buchholz

Workshop | Best-Practice-Beispiele

Ausgehend von einer Betrachtung realisierter Best-Practice-Beispiele in Deutschland und in den europäischen Nachbarländern wurden besonders innovative Modellprojekte vertikaler Mischung ausgewählt und vertiefend untersucht.
Grundlage für die Auswahl der Projekte, die zwischen 2000 und 2020 realisiert wurden, war eine Literaturrecherche der Fachpresse im deutschsprachigen Raum. Dafür wurden die Fachzeitschriften Archplus und Bauwelt (Deutschland), Archithese und WerkBauenWohnen (Schweiz) sowie das Internetportal Baunetz der Jahrgänge 2003 bis 2020 ausgewertet und die verfügbaren Online-Archive und deren Suchfunktionen nach Stichworten wie Wohnen, Leben und Arbeiten, Erdgeschoss, Mischnutzung, kompakte Stadt etc. genutzt.

Um zu einer vorläufigen Auswahl von 35 Best-Practice-Projekten zu gelangen, wurden Ausschlusskriterien festgelegt. Dabei wurden Projekte ausgeschlossen, die zwar zur vertikalen Mischung von Wohn- und Nichtwohnnutzungen beitragen und interessante Lösungen für die Schnittstelle zwischen öffentlichem und privatem Raum aufweisen, aber aufgrund bestimmter Merkmale wie zentrale Lage, Umnutzung, programmatische Besonderheiten etc. nicht auf die Entwicklung neuer Quartiere übertragbar sind.